In jener Zeit als die Leute sahen, dass weder Jesus noch seine Jünger dort waren, stiegen sie in die Boote, fuhren nach Kafarnaum und suchten Jesus. Als sie ihn am anderen Ufer des Sees fanden, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hierher gekommen? Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird. Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel beglaubigt. Da fragten sie ihn: Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen? Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. Sie entgegneten ihm: Welches Zeichen tust du, damit wir es sehen und dir glauben? Was tust du? Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben. Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot! Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
Die Evangelienstellen vom vergangenen Sonntag, von diesem und den kommenden drei Sonntagen gehören inhaltlich zusammen. Sie sind dem sechsten Kapitel des Johannesevangeliums entnommen. Man könnte ihnen die Überschrift "Das Gottesbild vom Brot des Lebens" geben. Letzten Sonntag haben wir die Erzählung von der Brotvermehrung gehört. Im Schlussteil ist die Rede davon, dass die Leute Jesus nach der Brotvermehrung zu ihrem König machen wollten, dass Jesus sich aber ihrem Ansinnen entzogen hat. Die Reaktion dieser Menschen ist durchaus verständlich. Das Land Palästina ist zu einem großen Teil Wüstengebiet. Die Böden sind bis auf relativ kleine Flächen durchwegs karg und unfruchtbar. Bis heute ist in der Heimat Jesu die Sorge ums tägliche Brot für viele ein Kampf, oftmals ein Überlebenskampf. Damals wie heute leben dort Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Zu jeder Zeit sind die Menschen denen nachgelaufen und haben auf die ihre Hoffnung gesetzt, die ihnen Arbeit, Brot und Wohlstand versprachen. Jesus hatte mit der Brotvermehrung den Wunsch der Leute geweckt: Wenn wir den zu unserem König machen, dann haben wir Brot und können uns in Hinkunft die Mühe ums tägliche Brot ersparen. Mit diesen Überlegungen aber haben sie Jesus gehörig missverstanden. Dieses Missverständnis setzt sich auch in der Evangelienstelle dieses Sonntags fort. Man gewinnt den Eindruck, Jesus und seine Gesprächspartner reden völlig aneinander vorbei. Während die Leute nur das materielle Brot im Auge haben, redet Jesus vom Brot in einem ganz anderen Sinn. Er spricht vom Himmelsbrot und meint damit sich selber und damit Gott. Jesus verwendet das Bild des Brotes, um damit etwas über sich, über Gott auszusagen. Ich bin Brot, sagt Jesus, Gott ist Brot, das den Hunger des Menschen in umfassender, ganzheitlicher Weise stillen kann. Jesus spricht damit eine Erfahrung an, die im Grunde jeder Mensch macht: Das irdische Brot, die irdischen Güter – so kostbar sie sind – sind nicht imstande, den ganzen Hunger zu stillen. Diese menschliche Grunderfahrung drückt Maurice Sendak mit der Geschichte vom Hündchen Jennie aus: Einst hatte Jennie alles. Sie schlief auf einem runden Kissen im oberen und auf einem viereckigen Kissen im unteren Stockwerk. Sie hatte einen eigenen Kamm, eine Bürste, zwei verschiedene Pillenfläschchen, Augentropfen, Ohrentropfen, ein Thermometer und einen roten Wollpullover für kaltes Wetter. Sie hatte zwei Fenster zum Hinausschauen und zwei Schüsseln für ihr Futter. Und sie hatte einen Herrn, der sie liebte. Doch das kümmerte Jennie wenig. Um Mitternacht packte sie alles, was sie besaß, in eine schwarze Ledertasche mit einer goldenen Schnalle und blickte zum letzten Mal zu ihrem Lieblingsfenster hinaus. Du hast alles, sagte die Topfpflanze, die zum selben Fenster hinaussah. Jennie knabberte an einem Blatt. Du hast zwei Fenster, sagte die Pflanze, ich hab nur eines. Jennie seufzte und biss ein weiteres Blatt ab. Die Pflanze fuhr fort: Zwei Kissen, zwei Schüsseln, einen roten Wollpullover, Augentropfen, Ohrentropfen, zwei verschiedene Fläschchen mit Pillen und ein Thermometer. Vor allem aber liebt er dich. Das ist wahr, sagte Jennie und kaute noch mehr Blätter. Du hast alles, wiederholte die Pflanze. Jennie nickte nur, die Schnauze voller Blätter. Warum gehst du dann fort. Weil ich unzufrieden bin, sagte Jennie und biss den Stängel mit der Blüte ab. Ich wünsche mir etwas, was ich nicht habe. Es muss im Leben mehr als alles geben! Die Pflanze sagte nichts mehr. Es war ihr kein Blatt geblieben, mit dem sie etwas hätte sagen können. Ja, auch uns Menschen geht es manchmal nicht anders. Auch wir kennen diese Sehnsucht, es muss doch mehr geben als das, was uns diese Welt zur Verfügung stellen kann. Denn auch wenn uns die ganze Welt mit all ihren Dingen gehören würde, blieben wir letzten Endes unerfüllt und kämen nicht an das Ziel dieser Sehnsucht. Jesus schenkt uns die Hoffnung, dass er, das Gott, Ziel und Erfüllung dieser Sehnsucht für uns bereithält. Aus der Kraft dieser Hoffnung dürfen wir leben. Diese Hoffnung kann für uns zum Brot werden, das uns nicht verhungern lässt, bis wir teilnehmen dürfen am ewigen Mahl der Freude, bei dem uns Gott das Brot reicht, dass uns ganz satt macht und glückselig leben lässt für immer.