In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes: Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht. Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn, und er ging doch. Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der zweite. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Denn Johannes ist gekommen, um euch den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen, und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen, und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.
Liebe Freunde! Ich denke, jeder von uns, der sich nur ein wenig mit dem Anbau von Trauben auskennt, merkt, dass mit einem Weinberg sehr viel Mühe verbunden ist und dass es dabei Arbeiten gibt, die meist von einer Person allein nicht zu bewältigen sind. Verzögerungen können zu großen Einbußen der Qualität führen, die Schädlingsbekämpfung muss gemacht werden und die Ernte muss eingebracht werden, wenn Früchte zu faulen beginnen oder kommende Regentage die Ernte zu verwässern drohen. An eine solche Situation, in der ein Weinbauer dringend auf die Unterstützung seiner Söhne angewiesen ist, könnte Jesus gedacht haben, als er dieses Gleichnis erzählt hat. Auch wenn wir keine Weinbauern sind, können wir die Enttäuschung, vielleicht auch Verärgerung jenes Vaters gut verstehen, dessen Sohn noch am Morgen versprochen hat: Ja Vater, ich komme, du kannst mit mir rechnen, und dann ist er ohne jede Erklärung einfach nicht da. Solche Enttäuschung kennen wir wahrscheinlich aus eigener Erfahrung sehr gut: Angebote, Einladungen, Zusagen, die ernsthaft und ehrlich geklungen haben, die dann aber, wenn wir vielleicht nach längerem Zögern wieder darauf zurückkommen, leider nie eingehalten werden. Wir alle kennen Situationen, in denen wir uns total im Stich gelassen fühlen von Menschen, die uns Unterstützung, Solidarität, Freundschaft, ja vielleicht sogar Liebe versprochen haben; von Menschen mit großen Worten, die keine Taten folgen lassen; im Stich gelassen von Menschen, die zwar viel versprechen, aber wenig halten. Gott sei Dank aber ist uns auch der zweite Teil jenes Gleichnisses, das Jesus erzählt hat, nicht fremd: Unverhoffte Hilfsbereitschaft von Menschen, die keinen Grund haben, sich dazu verpflichtet zu fühlen; Offenheit, Einfühlsamkeit und Herzlichkeit, wo eine harte Schale eher Ablehnung vermuten ließ; Großzügigkeit, wo wir sie nie erwartet hätten; Verantwortungsbewusstsein und tiefe Gläubigkeit bei Menschen, die niemals auf die Idee gekommen wären, sich selber als gute Christen zu bezeichnen. Was Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten mit diesem Gleichnis sagen wollte und natürlich auch uns heute sagen will, ist: Vor Gott zählen letztlich nicht eure großartigen Reden, Bekenntnisse, Versprechen und Gelübde, sondern wie ihr euer Leben gestaltet; wie euer Tun dem entspricht, was ihr mit euren Worten zum Ausdruck bringt. Diese Übereinstimmung ist nicht gegeben, wenn wir Gottes Größe zwar besingen, aber nie damit rechnen, dass er die Erlösung der Welt anders geplant hat, als wir uns dies vorstellen. Diese Übereinstimmung ist auch dann nicht gegeben, wenn wir zwar Gottes Barmherzigkeit preisen, aber nie daran denken, selber mit unseren Mitmenschen auch nur ein wenig barmherzig zu sein. Auch lassen sich Menschen nicht einfach so leicht einteilen in Sünder und Gerechte. So gibt es Menschen, die zwar ständig den Namen Gottes im Munde führen, aber nichts begriffen haben von dem, was es heißt, in seinem Weinberg zu arbeiten und Früchten der Liebe zum Wachstum zu verhelfen. Und es gibt Menschen, die völlig ohne Gott zu leben scheinen, aber dennoch ihren Weg zu ihm finden, weil ihre Sehnsucht nach Lebensfülle, Liebe und Freiheit wie ein Kompass wirkt. Jesus hält heute den Pharisäern und Schriftgelehrten und damit auch uns dieses Gleichnis wie einen Spiegel der Selbsterkenntnis hin. Und wir sind gefordert, auch immer wieder einen selbstkritischen Blick in diesen Spiegel zu machen. Sind bei uns persönlich, Worte und konkretes Tun so in Übereinstimmung, dass nicht ein dichter Nebel die Botschaft von der Nähe Gottes verdunkelt? Wenn wir „Vater unser“ immer wieder beten „dein Wille geschehe", sind wir dann auch genügend offen dafür, dass er uns eine Situation, eine Erfahrung zumutet, die wir uns gar nicht gewünscht haben? Oder wenn wir immer wieder unser Vertrauen auf seinen Geist bekunden, rechnen wir dann auch genügend damit, dass Gott uns dadurch auch Bewegung und Umdenken abverlangt, wo uns eher nach Bewahren und Festhalten zumute wäre? - Oder - Wenn wir bezeugen, dass unserem Gott alle Menschen liebenswert sind, wird unsere Bereitschaft, mit jenen in Gemeinschaft und Frieden zu leben, die nicht auf unserer Wellenlänge liegen, dieser Überzeugung auch in genügendem Maß gerecht? Eine wichtige Frage sollten wir beim Blick in den Spiegel dieses Gleichnisses auch noch bedenken: Bedeutet unsere Entscheidung, Christus nachzufolgen, nicht auch, unsere Bereitschaft, unsere Zusage in seinen Weinberg Zeit, Kraft und Begabungen zu investieren? Wird der Herr des Weinbergs mit uns auch rechnen können, wenn unser Mitwirken einmal nicht so bequem erscheint, und wenn uns die übrigen Mitwirkenden vielleicht auch nicht gefallen? Neben all diesen Fragen gilt es aber immer an die Zusage zu denken: Es ist niemals zu spät, uns aus ganzem Herzen dem zu zuwenden, der uns in seinem Weinberg als Mitarbeiter braucht und will.